Eine Schule, die sich nach 2022 anfühlt – Schülerinnen und Schüler über die Schule von Morgen

Eine Gruppe von Jugendlichen. Im Hintergrund ein Schulgebäude. Die Jugendlichen sind selbst Schüler*innen, zwar nicht an dieser Schule, aber an anderen Schulen in Nordrhein-Westfalen. Sie sind die Profis für die Bedürfnisse der nordrhein-westfälischen Schulen. Grund genug, um drei von ihnen zu fragen, was sich an unseren Schulen verändern sollte.  

Am Tag des Gesprächs ist wieder der evangelische Religionsunterricht ausgefallen. Statt drei Stunden hat die befragte 17-jährige Schülerin seit Beginn des Schuljahres nur zwei Stunden Unterricht pro Woche – eine Folge des Lehrkraftmangels. Reli liege ihr als Fach nicht so sehr, trotzdem ärgere sie der ständige Ausfall. Auf die Frage nach ihrem Lieblingsfach hat sie eine klare Antwort: Sozialwissenschaften. Im Unterricht geht es gerade um die Dimensionen der Sozialen Ungleichheit. Die Gymnasiastin findet das spannend, mit dem Thema beschäftigt sie sich viel: „Soziale Ungerechtigkeit interessiert mich, weil wir oft selbst davon betroffen sind. Das konnte man vor allem im Homeschooling spüren: Während andere gleich zwei Endgeräte zur Verfügung hatten, hatten andere gar keins und mussten sich außerdem das Zimmer mit dem Geschwisterkind teilen.” Sie führt weiter aus: “Es ist auch nicht für alle gleich einfach, im Unterricht mitzukommen. Wenn die Eltern Ärzt*innen sind, können die ihren Kindern auch besser helfen. Wenn ich selber Eltern habe, die immigriert sind, ist das schwieriger. Da ist dann oft schon die Sprache eine Barriere.“ Bei diesem Thema kann sich die Schülerin auch auf eigene Erfahrungen berufen, wie sie mit Verweis auf ihre Übergangsempfehlung für die weiterführende Schule erklärt: „Auf welche Schule man gehen darf, ist abhängig von der sozioökonomischen Herkunft, davon aus welchem Stadtviertel man kommt, woher man abstammt.“ 

Dass der Wohnort Auswirkungen auf die Bildungschancen hat, kann auch ein 16-jähriger Gesamtschüler aus Delbrück berichten: „Ich hatte jahrelang Probleme zur Schule und wieder nach Hause zu kommen. Ich war teilweise anderthalb Stunden unterwegs oder musste nachmittags eine Stunde lang auf den Bus warten. Da muss man sich dann schon fragen, kann ich wirklich zu der Schule gehen, auf die ich gerne gehen möchte.“ Für ihn ist es eine Katastrophe, dass die Anbindung an den ÖPNV entscheidet, sich auf die Schulwahl und damit auf die Bildungsmöglichkeiten auswirken kann.  

Von langen Schultagen berichtet auch eine 15-jährige Gymnasiastin aus Essen. Oft ist sie erst um 17:30 Uhr zu Hause. Mit den Bergen von Hausaufgaben, die sie in der Oberstufe zu bearbeiten habe, bliebe keine Zeit für Hobbys oder Treffen mit Freund*innen: “Das fehlt mir einfach, das ist echt schlimm.” Der Druck, der in der Schule auf die Schüler*innen ausgeübt würde, sei ihrer Meinung nach viel zu hoch: “Es wäre gut, wenn die Lehrkräfte versuchen würden, den Stoff im Unterricht entspannter anzugehen und auf die Bedürfnisse der Schüler*innen einzugehen. Und es wäre gut, wenn die Themen im Unterricht intensiver besprochen würden, damit die Schüler*innen nicht so viel Stress und so viele Aufgaben zu Hause haben.” 

Für die Schüler*innen steht aktuell die Frage der Berufswahl an – die 17-jährige Gymnasiastin ist sich noch unsicher: Jura, Sprachwissenschaften oder Lehramt. Die Schule helfe ihr nicht bei der Wahl, sagt sie. Denn dort gebe es kaum Informationsmöglichkeiten für Studiengänge oder Ausbildungen. Die Schülerin würde sich freuen, wenn es zum Beispiel mehr Arbeitsgemeinschaften an der Schule gäbe, in denen man gemeinsam Interessen ausbilden und Fähigkeiten schulen könnte. Solche Angebote hätten aber oft keine Konstanz oder würden nur für die jüngeren Klassen organisiert. Bessere Erfahrungen hat der Gesamtschüler aus Delbrück gemacht. Er ist Mitglied des Schulsanitätsdienstes, der vom Deutschen Roten Kreuz unterstützt wird. Nach einem langjährigen Engagement und einigen Praktika im medizinischen Bereich möchte er nun Notfallsanitäter werden und vielleicht Medizin studieren. Durch die Schule fühlt er sich gut über Ausbildungsmöglichkeiten informiert, schließlich hat seine Klasse am Projekt „Kein Abschluss ohne Anschluss“ teilgenommen. Was ihm fehlt, ist die Information über ein mögliches Studium, bisher sei er nur über Ausbildungen informiert worden. Am meisten stört ihn am Schulsystem jedoch die praxisferne Ausrichtung des Lehrplans: „Bewerbungen schreiben, sich bei der Krankenversicherung anmelden, eine Steuererklärung machen – die alltäglichen Sachen werden nicht in die Schule einbezogen, obwohl die Schule uns aufs Erwachsenenleben vorbereiten soll.“  

Aufs Leben vorbereitet sein, heißt heute auch selbstbewusst und eigenverantwortlich mit digitalen Medien und technischen Geräten umgehen zu können. Was sagen die Jugendlichen zur Digitalisierung an ihren Schulen? Auch hier fallen die Urteile ganz unterschiedlich aus. Während der Gesamtschüler positiv gestimmt von den Schüler*innen-Tablets berichtet und davon, dass die Lehrkräfte ganz einfach alle Aufgaben in einer Cloud hochladen können, schütteln die Gymnasiastinnen nur mit dem Kopf. An der einen Schule werden noch immer Overheadprojektoren und Dokumentenkameras verwendet, Tablets müssen sich die Schüler*innen selbst anschaffen. Dadurch entstehe ein sozialer Druck, dem sich nicht alle stellen könnten. Am anderen Gymnasium gäbe es zwar Tablets für alle, allerdings sei das WLAN zu schlecht, um damit arbeiten zu können. Außerdem bemängelt die Schülerin den Umgang mit den technischen Geräten: „Wenn man die Digitalisierung in Schulen umsetzen möchte, muss man die Lehrer und Schüler dafür sensibilisieren. Man muss den Kindern ein Gefühl dafür geben, wie man mit technischen Geräten arbeitet. Und man muss die Schüler dafür sensibilisieren, was man im Internet posten darf. Bei uns gab es so viele antisemitische, sexistische und rassistische Vorfälle in Chats. Da fehlt meiner Meinung nach das Bewusstsein für die Gefahren solcher Äußerungen.“ 

Digitalisierung, Lehrermangel, technische Ausstattung, Berufsvorbereitung und ÖPNV – nach 2022 klingen die Berichte der beiden Jugendlichen nicht. Wie Thomas Kutschaty und die NRWSPD die nordrhein-westfälischen Schulen auf das Morgen vorbereiten wollen? Das Regierungsprogramm verrät es. Im NRW von Morgen werden wir:

  • Schulen in besonders herausfordernden Gegenden gezielt fördern: mit neuen Gebäuden, technischer Ausstattung und mehr Personal. 
  • allen Lehrkräften den gleichen Lohn beim Einstiegsgehalt zahlen, das heißt: A13 an allen Schulen. 
  • Familien besser unterstützen: mit Familienzentren an Schulen, einem Bildungslotsen für jedes Kind, einem kostenlosen Büchereiausweis für alle Schüler*innen und einem kostenlosen Schüler*innen-Ticket. 
  • Bildung gebührenfrei machen: von der Kita bis zu Meister-Titel.